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Die Ausbildung eines Architekten bewährt sich, wenn es gut geht, ein Leben lang, und zwar im doppelten Sinne: Sie bildet das Fundament für den Beruf und sie ist niemals abgeschlossen. Die akademische Lehre bereitet auf den Beruf vor, indem sie viele wichtigen Kenntnisse vermittelt, aber sie öffnet das Denken auch für die unvorhersehbaren Herausforderungen, die sich unseren komplexen Gesellschaften stets neu stellen. In meiner 20-jährigen Tätigkeit als Architektin habe ich in Praxis und Lehre immer wieder auf die mir im Studium vermittelten Grundlagen zurückblicken können, wenn ich im Alltag Entscheidungen ganz unterschiedlicher Natur zu treffen hatte. Diese Erfahrung möchte ich auch als Lehrende nachfolgenden Generationen von Architekten vermitteln und sie mit dem Rüstzeug für ihren Lebens- und Berufsweg ausstatten.

 

Zu diesen Grundlagen gehört an erster Stelle das Prinzip „rigor“, ein wunderbares und nicht gut ins Deutsche zu übersetzendes englisches Wort, an dem in den 1990er Jahren im Grundstudium an der Graduate School of Design an der Harvard University kein Vorbeikommen war. Es galt bei allem, die Sinne und die Fragestellung zu schärfen – was nicht zwingend zu hervorragenden Ergebnissen, aber immer zu wertvollen Lernerfahrungen führte. 

 

Die wichtigste Konsequenz aus diesem Prinzip: Gelungene Lösungen in der Architektur lassen sich nicht mit schnellen, modischen Ansätzen realisieren. Innovation kann nicht ohne Kenntnis und Reflexion der Baugeschichte und -theorie entstehen. Das Reservoir der Tradition stellt die nötigen Mittel bereit, um die Umstände jeder Aufgabe, vor der wir stehen, zu analysieren und mit Erfolg eine angemessene Antwort darauf zu formulieren. 

 

Andererseits aber kann Entwicklung nur stattfinden, wo Neugier auf das Unbekannte, das Ungeplante vorhanden ist. Erlebnisse und Eindrücke, die wir bewusst oder unbewusst aus unserer Umwelt aufnehmen, sind die Voraussetzung dafür, dass wir als Gestalter auf neue Ideen kommen. Auch diese Lektion begleitet mich bis heute und ich leite sie gezielt an meine Studenten weiter.

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